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Unvorstellbar

Eines der grossen Tabus unter Therapeut:innen, die trans Personen bei ihrer Transition begleiten, ist trans Sexualität.
Haben trans Personen so etwas überhaupt? Ich erinnere mich an Zeiten (noch vor 30 Jahren), da galt das Narrativ „Gott sei Dank, dass dieses ekelerregende Eigenleben meines Gemächts endlich aufgehört hat, dank Androcur“, unter Therapeut:innen als Gütesiegel einer echten „Transsexuellen“. Damals wurde noch nach „Unechten“ gefahndet, Deutschland hatte qua Gesetz (TSG) eine ganze Armee von Gutachter:innen aufgestellt, die peinliche Verhöre über solche Narrative inszenierten.
Auch heute noch finden wenige Therapeut:innen Mut, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Obwohl nach meiner Erfahrung hier eine der schlimmsten Nöte aufscheint, die trans und genderdiverse Personen quälen.

Vielen meiner Klient:innen wie auch den wenigen Therapeut:innen mit trans Hintergrund wird beim Gedanken an den eigenen Sex elend zumute. Eine alltägliche Erfahrung: Beim Dating kann mensch Ablehnung erfahren, wenn „es“ rauskommt, das Cis-Gegenüber wähnt sich „normal“: „trans, nein, da komme ich nicht drüber, ich will einen richtigen Mann, ich bin doch nicht lesbisch“. Die wenigen cis-Partnerinnen, die während oder nach der Transition nicht die Flucht ergriffen haben, lassen oft Schmerzliches verlauten: „Tut mir leid, aber wir leben jetzt wie zwei Schwestern …“
Endokrinolog:innen verschreiben munter Androcur, ohne dass ihnen oft bewusst ist, welches Gemetzel diese Substanz mit dem Sexualleben von trans Personen verursacht. Desgleichen marktübliche Antidepressiva – das psychiatrische Standardheilmittel gegen Diskriminierungsdepressionen lässt jegliche Erotik versiegen, was die Depression wiederum füttert …

trans und genderdiverse Personen fliegen hochkant aus dem Dating-Pool raus. Keine Chance. Dieses Schicksal teilen sie sich in den weissen cis-Ländern Deutschland, Schweiz und Österreich mit alten, colored, behinderten, psychoseerfahrenen und übergewichtigen Menschen: Was erlebt dann erst eine alte, colored, behinderte, psychoseerfahrene und übergewichtige trans Person?
Genau, erraten!
Wobei transmaskuline Personen noch etwas mehr Gnade finden als trans Frauen, so jedenfalls neuere Studien.1)

In Nordamerika haben queere Communities aufgehört, derartige Missstände zu bejammern. Lucie Fielding 2) (Therapeutin mit trans Hintergrund) und andere haben die sextötlichen Diskurse zum Thema gemacht. Fielding schreibt:

Zusammen betrachtet weisen Begehrlichkeit und Begehrensfähigkeit auf eine besondere Art von Privileg hin, das ich als erotisches Privileg bezeichne. Erotisches Privileg ist eine Art von Privileg, das bestimmten Arten von Körpern innerhalb einer bestimmten Kultur gewährt wird. In der westeuropäischen und amerikanischen Kultur sind diese Körper typischerweise weiß, heterosexuell, körperlich kräftig, schlank, gross und zwischen 18 und 35 Jahre alt. Körper, die nicht einem oder mehreren dieser kulturellen Ideale entsprechen - oder diese buchstäblich verkörpern - werden erotisch ausgegrenzt und als „unvorstellbar“ angesehen. Diese Körper werden gleichzeitig ausgelöscht und einer intensiven objektivierenden oder fetischisierenden Betrachtung unterzogen, und es wird ihnen weder [die Eigenschaft] begehrlich noch begehrensfähig zugesprochen.3)

Diese grundlegenden gesellschaftlichen Muster verstellen auch den Blick von Therapeut:innen auf ihre trans Klient:innen. Und es scheint selten, dass sich Therapeut:innen dessen bewusst werden. Sexualität wird bedingt durch die Macht der Diskurse zum Unsagbaren. Zum Tabu.

Das Fatale: Im Geflecht dieser Tabus, Vorurteile und Stereotypen kommt auch mein Geschlechtsleben unter die Räder. Das wird verinnerlicht, als Folge einer ständigen Gehirnwäsche. Noch einmal Fielding:

Negative Bilder, Haltungen und Vorurteile können mit der Zeit verinnerlicht werden. Zusätzlich zu den Mikro- und Makroagressionen, die viele transsexuelle und nicht-binäre Menschen erleben, und dem Stress, selbst die alltäglichsten Dinge zu tun, wie z. B. auf die Toilette zu gehen, haben einige von uns das zusätzliche Vergnügen, eine Stimme in uns zu hören, die darauf besteht, in den Chor der Gesellschaft einzustimmen und uns zu sagen, dass unsere Körper abstossend sind, dass wir nicht gefickt werden können, dass wir weniger wert sind als andere, oder dass unsere Wünsche und Bedürfnisse nicht so wichtig sind wie die der anderen Menschen auf der Welt.4)

Es ist ein System, dem wir in unserem Elend ausgesetzt sind. Auch in Nordamerika hat es zwei Jahrzehnte gebraucht, bis sich der Diskurs teilweise geändert hat. Der Vorteil: Da es sich um ein grundlegendes Problem handelt, sind auch grundlegende Umwälzungen notwendig, nicht zuletzt in der Kultur von Therapeut:innen. In den USA hat es drastischer Mittel bedurft, wie z.B. des Movements, das Mira Bellwether mit ihrem Fucking Trans Woman-zine ausgelöst hat.
Wir werden diesen Weg abgekürzt gehen können. Bedanken wir uns bei den nordamerikanischen QueerCommunities für ihr unermüdliches Engagement.

Zum Schluss noch etwas Hoffnung:
Dieser Blog begreift sich als Teil dieses künftigen Movements für genussvollen, freien, glücklichen und lustvollen trans SEX.

Autorin: Claudia Haupt



1)
Blair, K. L., & Hoskin, R. A. (2019). Transgender exclusion from the world of dating: Patterns of acceptance and rejection of hypothetical trans dating partners as a function of sexual and gender identity. Journal of Social and Personal Relationships, 36(7), 2074-2095.
2)
Fielding, L. (2021). Trans sex: Clinical approaches to trans sexualities and erotic embodiments. Routledge.
3)
Fielding 2021, 17.
4)
Fielding 2012, 18.
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  • Zuletzt geändert: 2024/03/14 23:21
  • von c.haupt